Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 08. November 2016 einen Beschluss zur Thematik der Berücksichtigung neuer Widerrufsgründe im Einspruchsbeschwerdeverfahren erlassen. Darin wird zunächst ein Leitsatz der Entscheidung „Aluminiumtrihydroxid“ aus dem Jahre 1995 bestätigt. Danach ist das Patentgericht nicht befugt, im Einspruchsbeschwerdeverfahren von Amtswegen neue Widerrufsgründe, die nicht Gegenstand des Einspruchsverfahrens vor dem Patentamt waren aufzugreifen und hieraus seine Entscheidung zu stützen.
Dieser Grundsatz erfährt nun eine Ergänzung dahingehend, dass der Einsprechende im Beschwerdeverfahren zusätzliche Widerrufsgründe geltend machen darf, die nicht zum Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gehören, wenn eine das Patent aufrechterhaltene Entscheidung des Patentamts in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten ist. Dies ermöglicht es somit dem Einsprechenden, auf sämtliche im Gesetz vorgesehenen Widerrufsgründe in einem relativ späten Verfahrensstand zurückzugreifen, auch wenn er diese Einspruchsgründe zuvor nie thematisiert hat.
Der BGH hält eine solche Vorgehensweise vor dem Hintergrund der Verweisung in § 99 Abs. 1 PatG sowie § 263 ZPO für zulässig.
Gemäß § 263 ZPO ist nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit eine Änderung der Klage zulässig, wenn der Beklagte (im vorliegenden Fall somit der Patentinhaber) einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet.
In der Praxis dürfte damit die durch die Entscheidung „Aluminiumtrihydroxid“ aufgestellte und hierin bestätigte Beschränkung der Befugnis des Bundespatentgerichts leerlaufen und somit de facto aufgehoben sein.
Erfreulich ist bei der BGH-Entscheidung ferner, dass die Rechtsprechung zur Frage unzulässiger Erweiterungen (z.B. BGH „Kommunikationskanal“) bestätigt und fortgeführt wird. Im Unterschied zur Rechtsprechung des Europäischen Patentamts sind im deutschen Verfahren bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts weiterhin Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet, dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind. Der Maßstab für die Zulässigkeit ist, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsformen der Erfindung entnehmen können muss.
BGH Beschluss vom 08. November 2016, Az. X ZB 1/15 - Ventileinrichtung