Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO zur Eigenart einer Verpackung mit sichtbarem Inhalt

Die Beschwerdekammer hebt eine Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des EUIPO im Hinblick auf ein Gemeinschaftgsgeschmacksmuster auf, welches eine Verpackung betrifft.

Die Antragstellerin (Ast.) stellte gegen das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGM) Nr. 1819558-002 (Abb. 1) Nichtigkeitsantrag wegen fehlender Neuheit und Eigenart. Zur Begründung verwies sie auf acht vorveröffentlichte Gläser mit Schraubdeckel, u.a. auf das hier abgebildete Glas (Abb. 2), von dem unter der Marke „Bering“ im November 2010 3.456 Gläser geräucherte Sprotten nach Russland exportiert worden sein sollen.

  
Abb. 1Abb. 2

 

 

 

 

 

 

Zur Glaubhaftmachung legte sie neben einer Bestätigung eines fischverarbeitenden Unternehmens Zollerklärungen und veterinärmedizinische Urkunden vor. Zu den übrigen Vorveröffentlichungen stützte sie sich nur auf Fotos und Angaben dazu, ab wann und wo die Gläser vertrieben worden sein sollen. Sie machte geltend, dass alle Designs dieselben prägenden Merkmale (Transparenz des Glases, runde Umfangskontur und vertikale Anordnung der Fische) aufwiesen. Außerdem stützte sie sich auf zwei vorveröffentlichte GGM und eine 3D-Marke aus dem Jahr 2013. Die Nichtigkeitsabteilung wies den Antrag zurück. Die Offenkundigkeit der älteren Gläser sei nicht ausreichend dargelegt; die übrigen geltend gemachten Designs könnten die Rechtsbeständigkeit des angegriffenen GGM nicht beeinträchtigen.

Die Beschwerdekammer (BK) hebt die Entscheidung auf und erklärt das GGM für nichtig, weil es auf den informierten Benutzer denselben Gesamteindruck mache wie das „Bering“-Glas. Da die Angaben zum Gewicht und Inhalt der exportierten Gläser in den vorgelegten Dokumenten und der Bestätigung übereinstimmten, bestehe kein begründeter Zweifel daran, dass die in den Dokumenten erwähnten Verpackungen auch die in der Bestätigung genannten seien.

Die Gestaltungsfreiheit bei Nahrungsmittel-Verpackungen sei hoch. Die Eigenart eines Geschmackmusters ergebe sich aus dem Gesamteindruck der Unterschiede oder dem fehlenden Wiedererkennungswert („déjà-vu“) aus der Sicht eines informierten Benutzers in Bezug auf den bekannten Formenschatz.

Für die Beeinflussung des Gesamteindrucks ungeeignete Unterschiede berücksichtige dieser nicht, selbst wenn sie mehr als unbedeutende Details seien. Ausgeprägte Unterschiede, die ausreichend seien, um einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen, beachte er hingegen sehr wohl.

Im angegriffenen GGM sei das ältere Bering-Glas wiederkennbar, da jenes dieselben Gestaltungsmerkmale aufweise, nämlich einen transparenten Behälter (offensichtlich aus Glas) mit einem farbigen Deckel. Der Behälter habe denselben Querschnitt und dieselben Proportionen, sodass die Behälter selbst identisch oder im Wesentlichen identisch seien. Dass sich in dem Glas Fisch befinde, könne den Gesamteindruck nicht beeinträchtigen, weil der Schutzgegenstand des GGM in diesem Fall die „Verpackung“ und nicht ihr Inhalt sei, der bloß sichtbar sei, damit die Darstellung des Musters die Funktion des Produktes als Behälter für Nahrungsmittel zeige. Dass das ältere Glas ein Etikett aufweise, könne den Gesamteindruck nicht beeinflussen, weil die Gestaltungsmerkmale des angegriffenen GGM mit denen des älteren Designs verglichen werden müssten und diese Merkmale kein Etikett oder andere Elemente auf dem Behälter umfassten. Die unterschiedliche Farbgestaltung der Deckel (gold/schwarz) sei nicht geeignet, einen unterschiedlichen Gesamteindruck auf einen informierten Benutzer zu machen.

Es überrascht nicht, dass solche Gestaltungsmerkmale, die nur im älteren Geschmacksmuster verkörpert sind, bei der Beurteilung der Eigenart eines jüngeren Geschmacksmusters unberücksichtigt bleiben müssen. Das, was ein jüngeres Geschmacksmuster gegenüber einem älteren gerade nicht hat, kann nicht zur Begründung seiner Eigenart dienen. Klargestellt hat die Beschwerdekammer aber nun, dass der sichtbare Inhalt einer Verpackung kein Merkmal ist, das zur Prägung des Gesamteindruckes beiträgt, weil es nicht die Funktion der Gestaltung des Produkts, sondern die Funktion der Identifikation der Verpackung an sich als gerade für den dargestellten Inhalt vorgesehene Verpackung hat. Dies ist erfreulich, weil bei transparenten Verpackungen die „Formensprache“, insbes. die Ausgestaltung von Details, vielfach in einer Wiedergabe leichter erkennbar wird, wenn die Verpackung verwendungsgemäß befüllt ist.

EUIPO, Entscheidung vom 12.02.2019, Az. R 2543/2017-3